Ich habe mich oft gefragt, warum es gerade der Sommer ist, der mich zum Vermissen bringt. Warum im Winter alles an mir vorbeizieht und ich einfach mache, aber sich im Sommer alle Lücken damit füllen wie mit bittersüßem klebrigen Honig.
Aber es ist dieser Honig, der sich als roter Faden durch meine Gefühlswelten zieht. So sicher, wie ich einen Fuß vor den anderen setzte, werde ich vermissen. Dieses Jahr den Sommer davor, in dem alles voller Tränen war und voller Abschiede. In jenem Sommer habe ich den davor vermisst, weil er voller Worte war und ich jeden Tag 3000 Worte zu Papier brachte. Davor war es ein Sommer voller Menschen und nächstes Jahr wird es ein geregelter Sommer sein, den ich vermisse. Einer voller Neuanfänge, aber einer, in dem ich noch einen Platz hatte.
Ich mag das Vermissen, weil es bei mir bleibt. Loslassen ist für manche eben einfacher als für andere. Ich fahre gern mit imaginären Fingern über die Erinnerungen und fühle die Mischung aus Dankbar- und Traurigkeit in mir tosen.
Als Charakter macht es mich aber inkonsistent. Verwirrend oder? Einer meiner authentischsten Züge lässt mich als Romanfigur unglaubwürdig und überzogen wirken. Es ist ein faszinierendes Phänomen, dass mich in letzter Zeit häufig beschäftigt. Einen Charakter, der sein fehlendes Selbstbewusstsein überspielt, wirkt schnell arrogant. Wenn zwischen wiederkehrenden Gefühlspassagen ein zu langer Zeitraum vergeht oder es keinen klar erkennbaren Auslöser gibt, lässt uns die Emotion stocken und fühlt sich nicht richtig an.
Überhaupt dürfen Emotionen selten aus dem Nichts kommen. Wenn es zu schnell geht: Unglaubwürdig. Wenn sich Gefühle ständig ändern: Überzogen und immer so weiter. An sich ist das ein schlichtweg faszinierend zu beobachten. Denn der Leser erwartet sich etwas von einer Figur. Manchmal sind es die am nächsten an einer realen Person empfunden Protagonist*Innen (gerade im Fall von Thrillern oder Krimis), die fad und eindimensional wirken. Da mögen wir es gerne überzogen. An anderer Stelle ist alles, egal wie wenig zu viel, als dass wir es glauben könnten.
Problematisch wird es da, wenn es um Repräsentation und Inklusion in Büchern geht. So gibt es inzwischen eine Menge von LGTBQ+ Romance oder Coming Out Stories und ja verdammt, das ist so gut und wichtig! Aber wir brauchen diese Repräsentation eben nicht nur in romantischen Geschichten, sondern überall. In jedem Genre. In jeder Rolle. Da findet man sie ja im echten Leben auch. Aber auch hier haben eben Lesende eine gewisse Erwartung. Das ist gar nicht schlimm, es ist nur wichtig sie zu kennen und hin und wieder zu brechen. Einfach ist das nicht. Man ist ja schließlich auch auf Lesende angewiesen, aber es hilft vielen von ihnen letztendlich weiter.
Anderes Beispiel: Auch die Geschichten von Menschen mit Behinderungen finden (endlich!) immer mehr Einzug in die Romane und Filme (noch mal dreifaches begeistertes JAAA). Es gibt eben auch ein kleines aber. Denn auch hier gibt es unter den Lesenden Erwartungen. Die kommen oft aus dem echten Leben. Man erwartet eben, dass man einem Menschen ansieht, wenn er eine Behinderung hat. Man erwartet, dass ein Mensch im Rollstuhl immer im Rollstuhl sitzt und nicht gehen kann. Das stimmt aber nicht immer. Es gibt Menschen, die sind zum Beispiel zeitweise auf einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen, nur eben nicht ständig, genauso wie es viele Menschen gibt, denen man weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick ihre Behinderung ansieht. Das macht es manchmal zu einer Herausforderung über eben solche Menschen zu schreiben und erfordert Recherche, ist aber umso wichtiger.
Das hier ist keine Anleitung. Das hier ist kein Aufruf: Schreibt eure Charaktere ganz anders als bisher. „Lasst sie real fühlen, real langweilig oder bösartig sein. Lasst sie echt sein und in allen Rollen authentisch und lasst sie divers sein.“ Nein. Das hier ist ein Denkanstoß. Denn es gibt Wege, um solche für Lesende „ungewöhnliche“ Charaktere zu schreiben. Das ist eine Erinnerung, nicht damit aufzuhören, nach ihnen zu suchen. Nach Wegen, die allen ermöglichen, sich in Literatur, Film oder Medien wiederzufinden. Weil jeder verdient hat, sich zwischen den Zeilen zu finden.