Fehler machen
„Das ist doch mega behi…“ Mein Bruder sieht mich an. „Sorry“, beeilt er sich. „Das ist doch mega kacke.“ Ich nicke. „Dankeschön“. So als würde er mir gerade einen persönlichen Dienst erweisen, dabei bin ich einfach nur froh, dass wir da inzwischen einer Meinung sind. Dass es eine Front weniger gibt, an der ich mich ständig wie die nervige Oberlehrerin fühle, obwohl ich doch eigentlich nur versuche Diskriminierung zu verhindern.
In den Monaten, in denen ich jetzt versuche meinem Sprachgebrauch zu verändern, bin ich ungeduldig geworden. Mit mir selbst und meiner Umwelt, aber auch mit dem Konsens der Gesellschaft, der sich manchmal einfach weigert die einfachsten Dinge zu akzeptieren.
Wenn ich Fehler mache – und ich mache sie oft, öfter als mir lieb ist, dann werde ich sauer. Auf mich selbst, aber manchmal, selten auch auf die, die mich auf meine Fehler hinweisen. Das ist ein normaler Abwehrmechanismus, das weiß ich. Ich schlucke meine Wut und bedanke mich. Beim nächsten Mal mache ich es besser.
Fehler zu machen, ist in einem Lernprozess natürlich, sage ich mir dann. Worauf es ankommt, ist das man aus ihnen lernt und es gibt viel zu lernen, denn Fehler machen wir viele, besonders wenn es um unseren alltäglichen Sprachgebrauch geht.
Es ist nämlich so, dass wir mit unserer Sprache viel mehr tun als einfach Dinge zu sagen. Wir können Menschen empowern und sie verletzen, sie mit einbeziehen oder ausgrenzen. Das fängt an bei Themen wie dem Gendersternchen, was im schriftlichen Sprachgebrauch zeigt, dass es eben nicht nur Mann und Frau gibt, hört dort aber bei weitem nicht auf.
(Im Übrigen ist das Gendersternchen an sich nicht zwangsläufig inklusiv, es hat nämlich einen entscheidenden Nachteil: Viele Screenreader Apps, die zum Beispiel blinde Menschen benutzen, können es nicht richtig lesen. Weswegen inzwischen immer mehr Schreiber:innen mit einem Doppelpunkt gendern. Hier machen Screenreader nämlich einfach eine kleine Pause, wie wir es beim sprechen auch tun würden. Update 2021: das Ganze stimmt so auch nicht mehr unbedingt – welche Variante besser funktioniert, kommt auf den Screenreader an.)
Behindert ist kein böses Wort
Wie inklusiv wir sind, zeigen wir nämlich auch in unserer alltäglichen Wortwahl, in die sich überraschend häufig Rassismus, Sexismus und Ableismus einschleicht. Ableismus ist angelehnt an den englischen Begriff ableism und meint die Diskriminierung oder Abwertungen von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten.
Für letzteres gibt es im Deutschen unzählige Beispiele. Angefangen bei Menschen, die das Wort „behindert“ abwertend verwenden, aber auch in Ausdrücken wie „bist du blind“, „verrückt“ oder „Idiot“. Am liebsten würde ich eine lange Liste machen, mit Dingen, die man einfach nicht mehr so verwenden sollte wie man es früher eben getan hat, aber etwas in mir scheut sich diese Worte alle aufzuschreiben. Zumal meine Liste ohnehin unvollständig ist. Was alle diese Begriffe gemeinsam haben: Sie werten Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten ab, die Diagnosen werden zu Flüchen oder Schimpfwörtern und das – auch wenn es den meisten unbetroffenen Menschen (tabs wie es im Englischen so schön heißt also „temporarily able-bodied“) nicht klar ist – grenzt aus und kann verdammt wehtun.
Diagnosen sollten keine Schimpfwörter sein. Sie sind nicht böse. Sie sind ganz normale Worte, die Menschen beschreiben. Das heißt nicht, dass man sie nicht mehr sagen kann, nein, im Gegenteil. Nur eben, dass sie keine Beleidigungen sind.
Bei vielen Wörtern gibt es zudem super einfache Möglichkeiten sie zu ersetzen:
Dumm, dämlich, blöd -> uninformiert
Verrückt -> unvorhersehbar
Usw.
Ja, aber was darf man denn noch sagen?
Wie euch vielleicht auffällt, habe ich keine Liste gemacht, in der ich sage, dies dürft ihr, das dürft ihr nicht. Mancher findet das jetzt vielleicht schade. Es ist schließlich auch viel Unsicherheit dabei, bei dieser inklusiven Sprache, man weiß nicht mehr, was jetzt noch okay ist und was nicht.
Bei manchen Dingen steht das auch nicht zur Debatte. Dass man niemanden als „Sp*st“ oder „Kr*ppel“ beleidigt, solche Dinge sind klar und da hört doch bitte mal auf zu rütteln, das ändert sich nämlich nicht. Dass behindert keine Beleidigung ist. Dass man, wenn man nicht tatsächlich davon betroffen ist nicht mal eben sagt „ja weißt du, ich hab halt so eine kleine Zwangsstörung“, „fühl mich wieder depressiv“ oder „hab einen bipolaren Tag“.
Aber bei vielen anderen Begriffen kommt es eben auch darauf an, mit wem ihr redet und wie ihr sie sagt. Es gibt Menschen, die bevorzugen „behinderte Person“ und welche „Person mit Behinderung“. Die einen sagen, dass behindert ein Adjektiv wie jedes andere ist und die anderen, dass sie nicht wollen, dass die Behinderung vor dem Menschen steht. Es gibt sogar solche, die sich als „anders begabt“ bezeichnen, aber genauso andere, die sich durch solche Ausdrücke verletzt fühlen.
Ich selbst bin neulich in einer Unterhaltung gelandet, in der es darum ging, dass ich „ich glaub, ich spinne“ nicht mehr sagen wollte. Die Person beschäftigt sich auch viel mit inklusiver Sprache, hatte aber diesen Begriff eben nicht aus ihrem Sprachgebrauch gestrichen und nach ein bisschen Internet Recherche fiel mir auf: War auch vollkommen okay so. „Spinnen“ kommt nämlich aus der Zeit, in der es noch viele Menschen an Webrahmen gesponnen haben und sich weil sie so lange dort saßen immer Geschichten ausgedacht haben. So lernt man dazu.
Was hier für mich entscheidend ist und bleibt: Wenn dir eine Person sagt, dass du dich ihr gegenüber diskriminierend verhältst, dann ändere dein Verhalten. Punkt. Lern aus deinen Fehlern. Lies, schau, höre dir Wissen an. Und wenn du dir nicht sicher bist: Dann frag. Das ist unsere ganz persönliche Verantwortung.