17:28 Uhr
Normalerweise stolpere ich immer in Unterhaltungen mit Jana hinein. Den Kopf halb noch und halb schon wieder bei anderen Dingen und zwischen Aufregung und Stress pendelnd als wäre ich ein Metronom, das immer zu „yay“ „uff“ „yay“ „uff“ dem gleichen monotonen Rhythmus folgt. Diesmal bin ich zu früh dran. Das liegt vielleicht, das liegt ziemlich sicher daran, dass meiner To-Do Listen noch Haken fehlen und meinem Tag die Stunden irgendwo in verkopfter Planung und Aufschieberitis verloren gegangen sind. Auch gut, fang ich eben morgen an, denke ich.
Ich lass es dreimal tuten, dann „hey“ „oh hi, na wie geht’s dir?“ und keine zwei Sekunden später ich: „hey, mir fällt grad ein, ich hab‘ noch Wäsche in der Maschine, kann ich dich kurz mitnehmen?“
Seit ich weg bin und wir regelmäßig, aber in größeren Abständen telefonieren, verkommen Anfang und Ende unserer „meetings“ immer ein wenig zu einem Serienflashback, hier sind die High- hier sind die Lowlights, bitte, dankeschön. Ich sage: „Du, bei mir geht grad vieles auf Montag zu, auf den 8. März, weißt du. Weil ich mich daran festhalten kann, weißt du. Und weil ich jetzt die Zeit habe, kann ja niemanden treffen, hab‘ ja keine Uni mehr, find aber kaum Willen zum Schreiben. Denkst du manchmal auch sehr doll, dass du gar keine Ahnung hattest, wovon du eigentlich geschrieben hast?“
Wir reden oft darüber, was wir schreiben, wie wir es tun, was uns wichtig ist. Wir hassen beide diese ungesund heteronormativen und toxischen „Bilderbuch“liebesgeschichten, Jana hat dazu kluge Worte gefunden. Davon finde ich gerade ziemlich wenige. Zum einen, ist das die Pandemie, ich denke, dass ich kluge Dinge über Corona und Kreativität sagen könnte, aber ich bin zu müde, um die Zusammenhänge aufzuschlüsseln. Zum anderen ist da aber auch das Wissen, das mit den Privilegien, die ich habe, eine Verantwortung einhergeht. Mehr zu lernen als selber zu sagen, zum Beispiel. Gleichzeitig bin ich eine Frau, die mit einer Behinderung geboren wurde und das wiederum sorgt dafür, dass ich auch vieles zu sagen hätte, was ich wichtig finde, aber ich möchte auch nicht immer. Gerade in die Literatur will ich das nicht immer einfließen lassen, unterstellen einem ja jetzt schon alle, dass man nur über sich selber schreibt in Wahrheit und man, ich weiß, dass das falsch gedacht ist.
Ich sage: „Jana, weißt du eigentlich, was ich zum Teil für Mistkacke geschrieben habe“ und erzähle davon wie viele Stereotype ich unnötig einfließen ließ, als ich Charly begonnen hatte und wie peinlich mir das war, das bei der Korrektur zu finden. Vielleicht ist das ja auch der Schlüssel, denke ich, dass das Lernen nie aufhört. Das sieht man auch bei uns. Wenn ich den ersten Artikel, den ich für Schreibschwestern geschrieben habe, lese, stellen sich meine Haare auf, stellten sie sich auf. Irgendwann bin ich alle einmal durchgegangen und jetzt kann ich sie lesen mit dem gleichen unwohlen Ziehen, mit dem ich alle meine Texte lese und das ist okay.
„Und jetzt?“, fragt Jana. Ich weiß es nicht. Ich will oft kluge Dinge sagen, aber ich weiß nicht, ob ich klug genug bin. Am 8. März meint ein unhöflicher alter Mann auf der Straße zu mir, dass diesen elitären Mist doch keiner verstehe und geht, als ich ihm freundlich versuche zu erklären, was wir tun. Ich habe keine Antworten, denke ich, keine guten. Bis auf eine, die ich wie einen alten Zettel immer wieder glätte, immer wieder hervorziehe: Es ist wichtig, zu lernen, es ist wichtig, es zu versuchen. Sich raushalten reicht nicht, sich raushalten ist auch politisch, selbst wenn man es nicht will. Mitsingen ist erlaubt, das Mikro an sich reißen nicht, gerade wenn es nicht um einen selber geht, und am besten funktioniert das Ganze, wenn man erst mal andre sprechen lässt und dann selber, vielleicht auch eher auf der Nebenbühne anfängt. Dann kommt das Feedback und man lernt, lernt immer.
19:20 Uhr
Jana sagt „bis bald“ in die Kamera, ich winke. Mein Pendelmodus hat mich wieder, da liegt noch Wäsche in der Maschine, die zweite Ladung, und die Punkte auf der To Do Liste sind auch noch da und ich frag mich, warum sie mich heute, jetzt nach diesem Gespräch so stören, verstehe erst abends übermüdet durch den Flur tappend, dass morgen anfangen eben nicht immer ausreicht.